
Ich sitze in diesem leeren Haus in Graz, die Heizung brummt vor sich hin, und meine Schuhe dampfen langsam aus. Draussen rieselt Schnee, sonst ist alles still. Langsam wird mir klar, was für ein absurdes Erlebnis dieser Tag war.
Eigentlich wollten wir (Claude, Enea und ich) einfach ein paar Tage Ferien machen. Irgendwas Spontanes. Und irgendwie kam dann die Idee, dass wir mal wieder trampen möchten. Aber für die Challenge zum ersten Mal ganz alleine. Also als Rennen.
Graz bot sich als Ziel an. Claude meinte irgendwann, seine Familie habe dort ein leerstehendes Haus. Da dürften wir unsere Matten auslegen.
Mehr brauchten wir nicht.
Das Ziel stand.
Donnerstag um 4:45 klingelt mein Wecker. Geweckt hat er mich nicht wirklich, ich lag schon seit einer Stunde unruhig da. Trotzdem war es der Startschuss.
Auf dem Weg zur Raststätte wurde mir schnell klar, dass die Thermounterwäsche keine schlechte Idee war. Es schneit, und es ist arsch kalt. Von der Raststätte Grauholz wollte ich bis zum Sonnenaufgang in Zürich sein. Mein erster Plan, mit einem Kartonschild im Schneeregen zu stehen, ging komplett daneben. Ich änderte die Taktik und sprach jede Person an, die sich so früh an die Tankstelle verirrt hatte.
„Fährst du vielleicht nach Zürich?“
Auf mega viel gute Laune traf ich dabei nicht. Verständlich, wer hat um fünf Uhr morgens Lust, einen halb durchgefrorenen Typen ins Auto zu lassen? Aber irgendwann hatte ich Glück. Ein Lehrer nahm mich ein Stück mit. Wir sprachen über Schule, Politik, irgendwas, während ich versuchte, meine Zehen wieder zu spüren.
In Kölliken stand ich wieder in der Kälte. Und wieder hatte ich nach etwa 15 Minuten Glück: Ein Aussendienstler nahm mich direkt bis zum Fressbalken nach Zürich mit. Doch kurz vor grossen Städten gibt es immer dasselbe Problem: Alle fahren in die Stadt. Ich will auf die Autobahn durch.
Nach etwas Rumfragen fand ich jemanden, der in dieselbe Richtung fuhr, nur setzte er mich an einer echt traurigen Raststätte ab. Regen, Kälte, fast keine Autos und ein paar Truckfahrer, die mich ansahen, als hätte ich ihnen angeboten, ihre Steuererklärung zu machen. Zum Glück fand ich jemanden, der mich ein paar Minuten zur nächsten Raststätte brachte. Die war mir deutlich sympathischer.

Nach einer einzigen Absage hatte ich wieder Glück. Ein Banker nahm mich mit Richtung deutsche Grenze. Er erzählte von seinem Leben, seiner Jugend, wir sprachen über Politik, Aktien und warum er mich überhaupt mitgenommen hat.
An der nächsten Raststätte (kurz vor der Grenze) stand ich wieder etwas verloren da aber inzwischen im Flow. Nach einer Stunde, mindestens 30 Absagen und einigen Fragen, warum wir sowas eigentlich freiwillig machen, sah ich dieses Auto: drei Frauen, und auf dem vierten Sitz ein riesiger Koffer. Also eigentlich kein Platz.

Und trotzdem fragte ich: „Wo fährt ihr hin?“
„München.“
Eine Minute später standen wir zu viert vor dem Koffer und schoben ihn Tetris-mässig so zusammen, dass ich knapp Platz hatte. Ich sass schief gedrückt zwischen meinem Rucksack und der Tür, aber ich sass in einem Auto Richtung München. Es war warm und es roch nach Kaffee (weil ich welchen gemacht hatte). Die Stunden vergingen wie im Flug. In München halfen sie mir sogar, einen guten Rastplatz zu finden. Eine von ihnen sprach einen Mann an. Polnischer Fahrer, kleiner Lastwagen, Chaos in der Kabine, aber er signalisierte irgendwie: Salzburg.

Ich sah den Lastwagen an und dachte: Objektiv sollte ich das nicht machen.
Trotzdem stieg ich ein (er war mir irgendwie Sympathisch).
Er telefonierte auf Polnisch, und kurz darauf merkte ich, dass wir nicht Richtung Salzburg fuhren. Ich fragte via ChatGPT nach. Wir kommunizierten mit Händen, Füssen und vielen ChatGPT-Chats. Erst hiess es „kleiner Umweg“. Dann wurde aus dem kleinen Umweg ein Dorf in Österreich, eine Stunde nördlich von Salzburg.
Fremder Lastwagen, fremdes Land, keine gemeinsame Sprache und ich hatte absolut keinen Plan, wo wir waren. Aber er meinte immer wieder, wir würden danach nach Salzburg fahren. Im Dorf lud er etwas ab. Ich musste in einem Häuschen warten, in dem ein Arbeiter mich fragte, was ich da mache, und dann meinte:
„Machen junge Leute heute sowas freiwillig?“
Fairer Punkt.

Ich stieg wieder ein. Und wieder nannte der Fahrer ein neues Ziel. Wieder in die falsche Richtung. Ich war kurz davor auszusteigen. Doch auf seiner Route sah ich, dass er später auf eine grosse Autobahn musste und von dort konnte ich wieder trampen.
Ich sass angespannt da, beobachtete Google Maps und hoffte, dass nicht noch ein Anruf kam, der uns wieder irgendwohin lenkte. Doch er brachte mich tatsächlich zu einer Raststätte. Ich war so erleichtert, wieder im Autobahn-System zu sein.
Dort stand ich etwa zwei Stunden in der Kälte. Viele Leute, aber alle unterwegs Richtung Slowakei oder Polen. Langsam wurde ich unruhig und suchte heimlich schon nach einem Schlafplatz für den Notfall. Wahrscheinlich sah man mir die Verzweiflung an. Ich musste sogar schon Spenden ablehnen. Ein besorgtes Paar dachte wohl, ich sei in Schwierigkeiten. Stimmte ja auch ein bisschen. Die verwirrten Blicke, wenn ich erklärte, dass ich das freiwillig mache, kannte ich mittlerweile gut.
Und dann kam dieser Personentransporter. Auf der Seite stand in grossen Buchstaben: Graz. Ich lief hin, lächelte wahrscheinlich verzweifelter als geplant und begann etwas Smalltalk. Ich wollte ja nicht gleich mit der Tür ins Haus Auto fallen.

Als ich herausfand, dass sie tatsächlich nach Graz fuhren, dann doch:
„Ich muss nach Graz. Habt ihr noch Platz?“
Der Fahrer grinste: „Jo, des geht scho.“
Und dann sass ich drin. Eine lustige Truppe, die irgendwie für das Recycling in Graz verantwortlich war und gerade von einer Besichtigung einer Lithium-Ionen-Akku-Sortiermaschine zurückkam. Ich redete lange mit einem der Männer über Zufälle, Herkunft und wie verrückt das Leben manchmal spielt.
Langsam wurde mir klar: Ich komme heute an.
Und tatsächlich: Ich wurde nicht nur bis Graz mitgenommen, sondern einer der Typen fuhr mich direkt vor das „Lost Place“-Haus, zu dem ich den Schlüsselcode bekommen hatte.
Also stand ich da vor diesem riesigen alten Haus. Das Auto fuhr weg. Es war still, neblig, und Schnee wehte durch das Licht der Strassenlampe.
Ich stand einfach dort und wusste nicht so recht, wohin mit mir. Am Morgen stand ich noch komplett planlos auf der Raststätte Grauholz und dachte, ich bräuchte zwei Tage. Vielleicht drei. Und jetzt war ich in einem Tag hier.
Nur durch liebe Menschen, Gespräche, Mut und ziemlich viel Glück.
Ich bin stolz, nicht auf die Geschwindigkeit, sondern auf das Vertrauen, das ich aufbringen musste. Auf das Loslaufen. Auf das Dranbleiben. Auf all die kleinen Begegnungen, die diesen Tag zu etwas gemacht haben, das ich nicht so schnell vergessen werde.
Meine Route: https://maps.app.goo.gl/jrRqUgaQybGKLLuz9
