Vor recht genau einem halben Jahr sassen Enea, Eveline, Alina und ich (eine relativ zufällige Gruppe) an einem kalten Winterabend am Esstisch und wir motzten darüber, wie sehr wir das Reisen vermissen. Da Eveline sowieso eine Reise für den Sommer geplant hatte und wir gerade in der Stimmung waren, fingen wir an zu träumen. Plötzlich kam die Idee auf, Vietnam zu bereisen. Die Idee schwirrte ein paar Wochen im Kopf herum und das Fernweh stieg.
Das Einzige Vernünftige in dieser Situation, was uns einfiel, war… buchen.
Ein halbes Jahr später: Um 9 Uhr klingelte der Wecker und wir hatten einen klaren Plan. Zum Geld sparen und um gleich zu Beginn der Reise coole Storys zu sammeln, wollten wir nach Zürich trampen. Geplant war es, um 10 Uhr an der Raststätte zu stehen. Um 12:30 Uhr standen wir dann mit etwas Verspätung, gepackten Rucksäcken und einem Kartonschild („Zürich Airport“) auf der Raststätte Grauholz.
Nach 15 Minuten freundlich schauen trafen wir Sahra, die uns eineinhalb Stunden später direkt vor den Flughafen stellte. Trotz Verspätung an der Raststätte standen wir nun sieben Stunden vor dem Flug am Flughafen. Gibt Schlimmeres. Musste eh dringend etwas Schlaf nachholen.
Erster Stopp: Wien. Kurzes Umsteigen, nichts Spannendes.
Dann der Langstreckenflug nach Bangkok. Dort stiessen Evi und Alina zu uns. Zu viert stiegen wir ins letzte Flugzeug, das uns von Vietnam trennte, und landeten endlich in Ho Chi Minh. Naja, fast.
Zuerst noch anderthalb Stunden Schlange an der Passkontrolle. Immerhin wurden wir dabei von einem Schweizer angesprochen, der ebenfalls wie wir durchs Land reisen wollte. Mit ihm verging die Wartezeit erstaunlich schnell.
Trotz der eingebrochenen Nacht erschlug mich die Hitze fast. Ho Chi Minh ist laut, hektisch, riesig, stinkt nach Durian und ich liebe es. Bei mir breitete sich langsam das vermisste Freiheitsgefühl aus, das ich bis jetzt nur von meiner Amerika-Reise kannte.
Nach Gepäck abholen und Hostel einchecken gab es noch schnell etwas zu essen und dann fielen wir todmüde ins Bett.
Am nächsten Tag ging es erst um 11 Uhr los: Kaffee, Smoothie, SIM-Karte kaufen (6 GB pro Tag für einen Monat, umgerechnet 5 Franken im Monat). Dann ins Kriegsmuseum, weiter über einen riesigen Markt und abends mit Manuel und Noah (wir haben sie, wie zuvor erwähnt, am Flughafen kennengelernt) in eine Rooftop Bar. Ich war dabei oft am Handy, denn ich hatte noch eine Mission für Vietnam: Ich wollte meinen Tauchschein machen und schrieb mit verschiedensten Tauchschulen hin und her, bis ich nach vielen Missverständnissen endlich eine Zusage bekam. Dazu später mehr.
Der Tag endete bei der wohl nettesten Frau Vietnams und ihrem legendären Bánh mì.
Kurzer Wissenseinschub: Bánh mì ist ein vietnamesisches Sandwich aus knusprigem Baguette, meist gefüllt mit Fleisch (z. B. Schwein, Huhn oder Paté), eingelegtem Gemüse, frischen Kräutern und scharfer Sauce. Es entstand in der französischen Kolonialzeit als Fusion aus Baguette und vietnamesischen Zutaten. Preis: ca. 80 Rappen und wurde schnell zu unserem Hauptnahrungsmittel.
Auch am zweiten Tag entdeckten wir immer mehr von der Stadt und der Kultur in Vietnam. Der Host erklärte uns zum Beispiel, wie die politische Lage in Vietnam ist, und warum Locals heimlich immer noch Saigon statt Ho Chi Minh City sagen. Aber das ist ein anderes Thema.
Doch am Abend waren wir uns einig: Es zieht uns weiter. Also haben wir trotz einer dritten Nacht, die wir bereits bezahlt hatten, einen VIP Bus nach Da Lat gebucht. Der Tipp kam von unseren neuen Schweizer Freunden, die einen Bus vor uns in dieselbe Richtung nahmen.
Kurze Info, was es in Vietnam heisst, mit einem „VIP“ Nachtbus unterwegs zu sein: zu kurze Liegesitze, die nicht wirklich bequem sind, holprige Strassen, ein WC Stopp alle drei Stunden und ein Chauffeur, der bei jeder Kurve (und davon gab es nach Da Lat einige) hupte. Schlaf konnte ich also mehr oder weniger vergessen.
Dafür wurden wir morgens in Da Lat mit frischer, kühler Luft begrüsst. Gepäck ins Hostel und danach mein Highlight: Roller mieten (so halb legal).
Damit machten wir Da Lat unsicher und fuhren zu einigen Seen und Kaffeeplantagen, für die Da Lat bekannt ist. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, um etwas über die Kaffeekultur in Vietnam zu sprechen: Sie ist wirklich gross und du bekommst fast an jeder Ecke einen Kaffee. Oft ist es eine Mischung aus sehr dunklem Robusta Kaffee, der mit einem Sieb direkt ins Glas tropft (oder schon vorgebrüht aus einer Flasche kommt), Eis und Kondensmilch. Das heisst dann Cà phê sữa đá, der absolute Energydrink mit einer Wochenration Koffein und Zucker.
Am nächsten Morgen natürlich wieder Kaffee und dann Real Life Mario Kart mit Noah und Manuel.
Dann mussten wir uns von unseren Rollern verabschieden, denn um 17 Uhr wartete schon der nächste Bus: Es ging endlich ans Meer.
Nach fünf Stunden Fahrt plus Verspätung erwartete uns feucht heisse Tropenluft.
Mein Ziel in Nha Trang war klar: Tauchschein machen. Ich hatte einen super Tauchlehrer und konnte nach zweieinhalb Tagen und vier Tauchgängen mein PADI abschliessen.
Für die anderen war die Stadt leider eher enttäuschend: unsauberer Strand, viele Touristen, hohe Preise. Highlight war ein Tauchtag, den wir gemeinsam machten. Dabei lernten wir schon wieder zwei Schweizer Backpacker kennen, die wie wir vom Süden in den Norden reisten. Die ziehen wir wahrscheinlich irgendwie an.
Am dritten Tag waren wir ehrlich gesagt etwas froh, dass wir mit einem Nachtbus fliehen konnten. Trotzdem wurde auch hier nicht wirklich geschlafen.
Als wir alle komplett übermüdet in Hoi An ankamen, erfuhren wir, dass wegen eines Sturms die Überfahrt auf die von uns geplante Insel nicht möglich war. Also setzten wir uns in ein Café und da brachte uns für ein paar Stunden auch niemand mehr so schnell weg. Wir hatten aus unserem Fehler, zu viele Nächte zu buchen, gelernt und diesmal nur eine Nacht reserviert.
Am Abend haben wir uns das wunderschöne Städtchen angeschaut. Das Nachtleben war auch nicht ohne und wir lernten wieder neue Leute kennen. Zufälligerweise stiessen wir in einer Bar auf die zwei Schweizer vom Tauchen. Ein riesiger Zufall.
Am nächsten Tag verlagerten wir unser Lager ans Meer. Beim Hotel gab es gratis Velos.
Alt, verrostet, klapprig, aber das hielt uns nicht davon ab, die Gegend zu erkunden, und wir genossen den wunderschönen Strand. Gegen Abend begannen wir, neue Pläne zu schmieden: Wir hatten nicht mehr viel Zeit und wollten noch in den Norden. Also buchten wir einen Direktbus nach Hanoi für den nächsten Tag.
Unser brillanter Plan: Nacht durchmachen, um dann im 17 Uhr Bus nach Hanoi zu schlafen.
Spoiler: Das war ein scheiss Plan.
Nach einer, wie geplant, schlaflosen Nacht und einer trotz extremem Schlafentzug für mich fast schlaflosen Busfahrt kamen wir in Hanoi an und kippten erstmal so viel Kaffee wie möglich in uns rein. Danach planten wir unsere weitere Reise.
Die Stadt ist riesig, chaotisch, laut wie Saigon, aber irgendwie schöner. Wir zogen durch Cafés, Museen, Märkte und trafen Manuel und Noah wieder.
Am Abend bekam ich endlich meinen wohlverdienten Schlaf und konnte mein Verhältnis von 60 Stunden wach zu 3 Stunden Schlaf wieder etwas ausgleichen.
Am zweiten Tag kam aus dem Nichts ein Platzregen, wie wir ihn noch nie erlebt hatten. Als Belohnung gab es abends ein Gratis Upgrade für unseren Nachtbus nach Sa Pa. Vielleicht klappt es ja diesmal mit Schlaf.
Und tatsächlich konnten wir alle relativ gut schlafen und kamen pünktlich zum Sonnenaufgang in dem wunderschönen Bergstädtchen an.
Bei uns ist es ja schon fast Tradition, in Bergregionen Roller zu mieten und das machten wir auch hier.
Mit unseren neuen Gefährten erkundeten wir in den zwei Tagen Passtrassen, Wasserfälle und vieles mehr. Wir fanden zum Beispiel ein abgelegenes Dorf, wo uns eine ältere Frau in ihr Haus einlud und uns zu einem geheimen Aussichtspunkt brachte.
In Sa Pa stellten wir übrigens unseren persönlichen Preis Leistungs Rekord für ein Hostel auf: pro Person und Nacht 1 Franken inklusive Frühstück und einem Foto mit der herzlichen Besitzerin. (:
Im Bus nach Hà Giang stieg bei uns die Vorfreude auf den Hà Giang Loop.
Kurzer Wissenseinschub: Die Hà Giang Loop ist eine mehrtägige Motorradtour im hohen Norden Vietnams, direkt an der Grenze zu China, und gilt als eine der schönsten Routen Asiens. Sie führt über schmale Bergstrassen durch spektakuläre Karstlandschaften, vorbei an tiefen Schluchten, Reisfeldern und kleinen Dörfern ethnischer Minderheiten. Das Abenteuer entsteht durch die teils wilden Strassen, wechselndes Wetter und das Gefühl völliger Freiheit, wenn man stundenlang ohne grossen Verkehr durch diese atemberaubende Natur fährt. Für viele das unvergessliche Highlight einer Vietnamreise.
Die Erwartungen waren riesig und wurden tatsächlich übertroffen.
Wir haben den Loop als Easyrider Tour gebucht. Das heisst, dass wir bei einem erfahrenen Vietnamesen hinten auf dem Roller mitfuhren.
Ich glaube, ich hatte noch nie so ein Gefühl von Freiheit wie in dieser gemischten Gruppe aus der ganzen Welt, die zusammen durch die vietnamesischen Berge düste.
Es fühlte sich wirklich an wie ein Klassenlager: jeden Abend Karaoke und Party.
Und wir haben so viele Leute kennengelernt, die ich bis heute vermisse.
Nach dem Loop ging es mit einem Nachtbus zurück nach Hanoi. Wie immer mit wenig Schlaf. Wir kamen mitten in der Nacht an und da uns ein Late Check in Hostel zu teuer war (5 Franken wir hatten wirklich den Bezug zu Geld verloren), verbrachten wir den Rest der Nacht in einer 24/7 Wäscherei und schliefen auf dem Boden.
Letzter Mango Smoothie, dann Abschied: Alina und Eveline flogen nach Japan, wir Richtung Schweiz…
Jetzt, zwei Wochen nach unserer Ankunft in der verregneten und irgendwie langweiligeren Schweiz, vermisse ich immer noch die unglaubliche Zeit, die wir in Vietnam verbringen durften, die Menschen, die wir kennenlernen durften und das Freiheitsgefühl, wenn man mit Rucksack ein völlig unbekanntes Land erkundet.
Das war sicher nicht die letzte Reise.